Teil 1: Elemente der Rhetorik
Was ist und was leistet Rhetorik?
„Wir verstehen unter der Redekunst eine auf die Kenntnis der Regeln gegründete Fertigkeit, wohl zu reden, das ist, durch seine Reden die Zuhörer zu überzeugen, sich ihrer Affekte zu bemeistern und sie zu dem Zweck zu lenken, den man sich gesetzt hat.“
(Christoph Martin Wieland)
Wenn ich in alltäglichen Unterhaltungen, aber selbst am Beginn von rhetorischen Übungsseminaren den Begriff ‘Rhetorik’ verwende, treffe ich häufig zwei typische Reaktionen an: „Das ist ja altmodische Redeschulung und paßt eigentlich nicht mehr in die moderne Zeit“, mutmaßen Skeptiker. Und andere meinen: „Sicher ist Rhetorik schon irgendwie effektvoll, aber letztlich geht es den Schönrednern doch nur um Redekunststückchen oder darum, ihre Zuhörer verbal einzuwickeln!“
Zwar werden beide Vorurteile von einseitig vorgestellter Rhetorik in Theorie und Praxis bedient, doch zeigt ein Blick in gegenwärtige Ratgeber zur Kommunikation oder in die Programme einschlägiger Weiterbildungsseminare, daß Rhetorik nach wie vor Aktualität und Faszination nichts eingebüßt hat. Wie sollte sie auch? Die Rahmenbedingungen rhetorischer Sprachgestaltung haben sich zwar, was kulturelle Muster und Kommunikationsstandards betrifft, weiterentwickelt und verändert, die kommunikative Grundkonstellation hat sich jedoch im wesentlichen erhalten: Nach wie vor geht es bei formalen wie informellen Redeanlässen darum, die unterschiedlichen Mittel der sprachlichen Gestaltung so zu wählen, daß die Redeabsicht im Hinblick auf Inhaltsdarstellung und Hörerwirkung optimal umgesetzt wird.
Historischer Rückblick
Nahezu alle bekannten Grundregeln wirksamer Rhetorik stammen aus der Zeit der antiken Redekunst, die sich seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland und später im römischen Reich zur Kunstform entwickelt hat.1 Zu den berühmten Vertretern der griechischen Schule werden unter anderen Aristoteles, Isokrates, Demosthenes und Theophrast gerechnet, auf Seite der römischen Republik Cicero und Quintilian. Rhetorik wurde in der antiken Ära keineswegs nur als Zeichen der Gelehrigkeit und Kultiviertheit betrachtet, sondern weitergehend als Ausdruck der politischen und philosophischen Kompetenz. Rhetorik als eine der sieben freien Künste war fest verbunden mit der Idee der frühdemokratischen Willensbildung und der Einflußnahme auf politisches Handeln. Erst mit dem Untergang der republikanischen Regierungsformen in den attischen2 Stadtstaaten des antiken Griechenland wie im römischen Reich verlor die Rhetorik ihre zentrale Rolle und beschränkte sich häufig „auf akademische Übungen und theatralische Deklamationen“.3
Die Geschichte der Rhetorik liefert uns damit auch eine Erklärung für das Doppelgesicht dieser Disziplin, die bis heute - wie einleitend gezeigt - in dem eigentümlichen Ruf steht, einerseits zwingende Kraft zu entfalten4 und Handeln nachhaltig zu beeinflussen, andererseits spielerische Satzbaukunst und Schönrednerei zu sein.
Das Rhetorikverständnis der Gegenwart
Für die Gegenwart ist kennzeichnend, daß die Disziplin ‘Rhetorik’ außerhalb eines kleinen akademischen Bereichs ihre Eigenständigkeit als Kunstform oder Fach weitgehend verloren hat, dafür aber unter wechselndem Etikett zu neuen Ehren gelangt. Zwar können die alten Redemuster und der antike Regelkanon heute nicht mehr in Reinform übernommen werden, doch zeigt sich, daß unter so zeitgemäßen Titeln wie „Modernes Rede- oder Kommunikationstraining“ oder „Das erfolgreiche Gespräch“ ein Großteil der traditionellen Grundsätze der Redegestaltung wiederaufgelegt werden.
In der modernen Rhetorik und professionellen Kommunikationsschulung können wir beispielhaft folgende neue Tendenzen feststellen:
einen zeitgemäßen Bezug auf Redekonstellationen und Redetypen wie die Verhandlung, die Präsentation, das Verkaufsgespräch, das Statement u.a.m.
demzufolge eine auffällige Orientierung an den Aufgaben und Zielsetzungen der Marketingkommunikation und an werbesprachlichen Techniken
eine starke Betonung der Selbstrepräsentation, d.h. die Hervorhebung individueller Wissens- und Darstellungskompetenzen sowie persönlicher Gewandtheit bzw. Kontaktfähigkeit. Hier wirkt sich der wachsende Druck aus auf den Erwerb von Fähigkeiten zur Selbstinszenierung („impression management“ ), die gerade unter den Bedingungen eines extrem hohen Konkurrenzdrucks auf einem engen Arbeitsmarkt zunimmt
eine in der Tendenz geringere Berücksichtigung „klassischer“ bzw. relativ festgelegter Redefiguren und Stilelemente; statt dessen stärkere Beachtung der Redeökonomie sowie der Behaltensorientierung durch Strukturierungstechnik
die Zunahme der psychologischen Sichtweise und Situationsanalyse; d.h. eine bewußte Berücksichtigung der (tiefen)psychologischen Wirkfaktoren und Steuerungsmöglichkeiten
eine differenzierte Publikumsansprache auf der Grundlage von Rollen- und Typuskenntnissen
einen bewußteren Umgang mit Medien zur Unterstützung der verbalen Präsentation und
ein kalkulierter Einsatz differenzierter körpersprachlicher Mittel.
Rhetorik ist, wenn Sie sich die Bedeutung guten Redevermögens für das betriebliche Management oder speziell für Öffentlichkeitsarbeit ansehen, also eher „in“ statt „out“. Der folgende Beispielkatalog kann zeigen, welche Erwartungen und Ziele mit einer modernen Redeschulung verbunden werden.
Im Rahmen beruflicher Kommunikation können rhetorische Fähigkeiten dazu beitragen:
sich selbst hinsichtlich der persönlichen Wirkung gut/besser zur Geltung zu bringen und Akzeptanz zu gewinnen
Sachverhalte verständlicher und wirkungsvoller auszudrücken
einen Redebeitrag optimal zu strukturieren
eine überzeugende, weil plausible und logisch schlüssige Argumentation zu entwickeln
seine stimmlichen Fähigkeiten zu trainieren oder besser zu nutzen
die soziale Kontaktaufnahme in Redesituationen zu gestalten und somit Beziehungen positiv zu steuern
in Gruppengesprächen oder im Dialog konstruktive bzw. taktisch erfolgreiche Beiträge zu leisten
die eigene Meinung geschickter zu formulieren und durchzusetzen
eventuell Stresssituationen und Konflikte erfolgreich „auszusteuern“
Präsentationen und Moderationen besser zu beherrschen
Funktionen und Elemente der rhetorischen Sprachgebrauchs
Rhetorische Grundfunktionen
Seit der aristotelischen Redekunstlehre sind immer wieder die Grundfunktionen in abgewandelter Form aufgeführt worden.5 Sie decken sich aus naheliegenden Gründen weitgehend mit den uns geläufigen Kommunikationsfunktionen. Im rhetorischen Bezugsrahmen jedoch werden die Redefunktionen eher systematisch abgehandelt und praktisch mit bestimmten Redetechniken und -figuren in Verbindung gesetzt. Gerade der mehr oder weniger starke Regelbezug der Rhetorik hat ihren Ruf als normative bzw. „vorschreibende“ Disziplin eingebracht.
Die vier geläufigsten Grundfunktionen sind:
Information:
Wirkungsvolles Reden zielt auf eine klare Vermittlung des Redeinhalts, d.h. auf Verständlichkeit und Übersichtlichkeit, damit der Zuhörer Wahrnehmungs- und Interpretationshindernisse überwinden, die Botschaft behalten und verarbeiten kann
Überzeugung:
In vielen Darstellungszusammenhängen legen Sprecher Wert auf den Beweisgehalt ihrer Rede; mit überzeugender Argumentation wollen sie das Wissen oder die Einstellungen ihrer Zuhörer verändern
Affektive Beeinflussung:
Unabhängig von der argumentativen Überzeugungskraft der Rede stellt sich rhetorische Wirkung auch durch emotionale Ansprache ein. Die auf konkrete Wirkungsziele ausgerichtete agitierende Rede wie auch die bewegend-leidenschaftliche Ansprache will ihre Zuhörer in einen Erregungszustand versetzen, um sie zu einem Anschlußverhalten zu bewegen oder in ihnen eine bestimmte Gefühlslage wachzurufen.
Unterhaltung:
Absicht einer Rede kann es schließlich sein, Aufnahmefähigkeit, Wohlwollen oder Heiterkeit im Auditorium zu wecken; die Wohlgestimmtheit der Zuhörerschaft kann Selbstzweck sein, andererseits aber auch dazu dienen, die Akzeptanz der Botschaft zu erleichtern.
In konkreten Redesituationen werden - je nach Zweck und Gattung - häufig eine oder zwei dieser Funktionen überwiegen, doch haben wir es in den meisten Fällen mit einer charakteristischen Mischung zu tun.
Dazu ein paar Beispiele:
In einem Fachvortrag ebenso wie in einer (organisationsinternen) Konzeptpräsentation überwiegt in aller Regel die Informations- und Überzeugungsfunktion, denn hier steht die Absicht im Vordergrund, mithilfe von „Verständlichkeitsmachern“6 einen Sachverhalt nachvollziehbar darzustellen und mit überzeugenden Argumenten einen Standpunkt zu vertreten.
In Diskussionen und Verhandlungen kann - bei einheitlichem Wissensstand der Teilnehmer - der Informationsaspekt etwas in den Hintergrund treten. Wiederum werden die argumentativen Redeanteile - mit Betonung der Argumentationsstruktur und des Argumentationsmodus - dominieren; allerdings ist bei diesen Kommunikationsverfahren darüber hinaus oft mit einer starken strategischen Komponente zu rechnen, wodurch die affektive Beeinflussung an Bedeutung gewinnt. Insbesondere bei Verhandlungen gibt es zahlreiche Regeln für den Einsatz emotionaler Wirkmittel - denken Sie nur an gezielte Schmeicheleien, an Demonstrationen von Macht und Entschlossenheit oder an das Zur-Schau-Stellen von Betroffenheit.
Persuasive7 und affektorientierte Redestrategien zeichnen vor allem die politische oder öffentlichkeitswirksame Rede aus. Ziel der agitatorischen oder demagogischen Rede ist es gerade, durch pathetische Beschwörungen, Bedrohungsszenarien oder emotionale Appelle an das Wir-Gefühl eine rationale Verarbeitung der Botschaft zu hemmen und aus der erzeugten Affektladung praktischen Nutzen zu ziehen.
Die Unterhaltungsfunktion der Rede manifestiert sich insbesondere in Fest- und Gelegenheitsansprachen8, tritt aber typischerweise auch in bestimmten Phasen von sachlichen Reden auf - dort beispielsweise im Einleitungs- oder Schlußteil, um sich die Zustimmung und Aufmerksamkeit des Publikums zu sichern.
Wirkungselemente des Redens
Sie alle haben sich gewiß schon in Situationen erleben können, in denen Sie sich selbst oder einen Sachverhalt mehr oder weniger förmlich darstellen mußten. Auch der ungeschulte Redner9 merkt schnell, daß solche Situationen einer Jongleurnummer gleichen, wenn es darum geht, mehrere „Spielkomponenten“ zur gleichen Zeit in den Griff zu bekommen. Wahrscheinlich erwarten Sie dann von sich - oder andere von Ihnen -, daß Ihre Stimme nicht zittert, daß Sie Ihre Hände und Arme nicht verlegen verknoten, daß sie Ihren roten Faden beibehalten und schließlich auch noch entspannt oder amüsant erscheinen. Wer öffentlich redet, hat also viel zu bedenken. Beiläufig oder bewußt erworbene Routine kann helfen, öffentliche Redesituationen zu meistern; sie garantiert allerdings keineswegs immer den optimalen Auftritt, sondern kann auch kontraproduktiv wirken.
Gutes Reden resultiert also aus einer Vielfalt von Einzelelementen, die in das Redeverhalten eingehen und in ihrer Kombinatorik positive Effekte erzielen können. Das bedeutet aber andererseits: die rhetorischen Wirkungskomponenten dürfen im Redevollzug nicht isoliert „vorgeführt“ werden, wenn die persönliche Präsentation nicht uneinheitlich und unnatürlich erscheinen soll.
Lediglich zum Zweck eines vereinfachten Verständnisses und der leichteren Analysierbarkeit möchten wir Ihnen die wichtigsten Elemente hier seriell aufgelistet vorstellen.
Rhetorik als Sprechtechnik
Die einfache Aufgabe, etwas laut und gut artikuliert auszusprechen, erweist sich nur zu häufig als Dauerproblem, denn Redeangst oder erworbene, negativ bewertete Aussprachemuster10 sind nur mit Geduld und Übung zu überwinden.
Die Sprecherziehung innerhalb der Rhetorik11 widmet sich vor allem den Phänomenen und Techniken der Artikulation und der Stimmführung.
Die Artikulation (Lauterzeugung) hängt entscheidend von den anatomischen Voraussetzungen (in Rachen und Kiefer), aber auch von den „Eingaben“ im Verlauf des Spracherwerbs ab, der darüber entscheidet, wie Laute realisiert und welche Lautkombinationen eingeübt werden.
Konkret können Artikulations- und Verstehensprobleme bei strukturell unreiner Lautung von Konsonanten und Vokalen auftreten oder bei mangelnder Sprech-sorgfalt oder Konzentration, die sich in Form von undeutlicher Lauttrennung und zu geringer Mundöffnung zeigen können.
Korrekturen der Artikulationsweise sind entweder aufgrund disziplinierter Selbstbeobachtung zu leisten oder - wie uns die Logopädie eindrucksvoll zeigt - durch nachträgliche Schulung (nach dem primären Spracherwerb) möglich, erfordern dann allerdings einen größeren Aufwand.
Etwas leichter zu beeinflussen, aber keineswegs ohne Tücken ist die Stimmführung während der Rede. Auch hier wirken sich häufig alltägliche Nachlässigkeiten in der Aussprache aus. Die einzelnen Elemente der Stimmführung sind:
Die Klangfarbe; hierunter versteht man die individuelle und nicht veränderbare Klangform der Stimme, die von verschiedenen Faktoren wie Artikulationsapparat, Resonanz u.a. abhängt
Tonhöhe (in Mittellage) und Sprechintensität (Akzentuierung)
die Intonation (Sprechmelodie)
Geschwindigkeit und Rhythmus
Atmung und Lautbehauchung sowie
den Einsatz von Sprechpausen
Sie können mit Blick auf Ihre Selbsterfahrung leicht erkennen, welchen Einfluß die genannten Faktoren auf die Verständlichkeit, die Dramatik, aber auch die Sympathiewirkung der Rede hat.
Körpersprache
Der verbale Ausdruck macht nun allerdings nur ein Teil der rhetorischen Gesamtwirkung aus; aus Ergebnissen der Kommunikationsforschung wissen wir, daß das Gesamtverständnis, d.h. das Verstehen der Botschaft wie das der Gesamtperson, ganz entscheidend mitgeprägt wird von den willkürlichen wie unwillkürlichen nonverbalen Zeichen (bzw. Signalen) eines Redners. Die Bewertung der Glaubwürdigkeit des Gesagten hängt sogar in erster Linie von körpersprachlichen Signalen ab, da diese langfristig nicht - wie Wörter und Sätze - täuschen können.
Bei der Analyse der Körpersprache unterscheiden wir verschiedene Signalbereiche: die Blickzone, den Gesichtsausdruck (Mimik), die Gestik und die Körperhaltung, die alle etwas über unsere innere Stimmungslage, unsere Sicherheit und unser Temperament verraten.
Der Blickkontakt
Jeder von uns weiß, wie irritierend es wirkt, wenn im ein Sprecher im Dialog oder vor einem größeren Auditorium den Blick dauernd gesenkt hält, ihn notorisch an die Decke richtet oder ihn ziellos herumirren läßt. Die Augen bzw. der Blickkontakt sind das intensivste Bindeglied zum Gesprächspartner; sie sind gewissermaßen das soziale Organ schlechthin. Daher gilt: Wenden Sie sich im Vortrag, im Interview oder in Gruppengesprächen immer wieder einzelnen Personen mit offenem Blick zu, aber fixieren Sie Ihr Gegenüber nicht starr. Auf diese Weise signalisieren Sie Teilnehmerbezug, Offenheit und Interesse; gleichzeitig haben Sie so die Möglichkeit, sich Ihrer eigenen Wirkung auf die Zuhörer bewußt zu werden und - etwa bei zweifelndem oder angestrengtem Gesichtsausdruck - mit entsprechenden Mitteln gegenzusteuern. Darüber hinaus kann Ihnen der Blickkontakt zu vertrauten Personen selbst Sicherheit verleihen und ihr Sprachverhalten derart stabilisieren.
Gestik
Während der Blick den Sozialkontakt steuert, hat die bewußte Gestik vor allem die Funktion, ihre Rede veranschaulichend zu begleiten und auf verschiedene Weise den Zuhörer zu lenken.
die wichtigsten „Aufgaben der Sprechhand“ sind:
sie ist Brücke zum Hörer,
sie ist Blitzableiter für Ihre inneren Spannungen ...
sie rhythmisiert, unterstreicht und begleitet Ihre Sprache
sie spricht selbst, verbildlicht, verdeutlicht“12 (D.h. Sie können mithilfe Ihrer Hände Formen und Bewegungsabläufe illustrieren)
Und um noch einen weiteren Aspekt zu nennen: die Sprechhand oder der Zeigefinger kann Zeigegesten vollziehen - nicht nur zur Verdeutlichung, sondern zur gestischen Fixierung oder „Bedrohung“ eines Hörers oder - wie bei der Selbstpräsentation von Politikern - zum Ausdruck von Autorität und Kompetenz (Erinnern Sie sich an den Kanzlerfinger?).
Wohin mit den Händen beim Reden? Eine Checkliste
Mimik
Die Mimik gibt in der Regel untrüglichen Aufschluß über die Befindlichkeit von Rednern und Zuhörern. Da der Gesichtsausdruck nur bedingt kontrollierbar und gattungsspezifisch universell festgelegt ist, „verraten“ wir uns - vor allem in Spannungssituationen - sehr schnell. Die unten gezeigten typischen Gesichsausdrücke lassen wenig Zweifel an der dahinter stehenden Gefühlslage.
Trotz meist unvermeidlicher mimischer Eigendynamik kann der Gesichtsausdruck in gewissem Rahmen produziert werden. Weitgehend konventionelle Stimmungskundgaben wie Zweifel, Nachdenklichkeit, Überraschung oder Unmut lassen sich taktisch oder karikierend einsetzen, um bestimmte Hörereffekte zu erzielen. Nicht immer ist solche Schauspielerei wünschenswert, aber sie gehört eben in das Repertoire vieler Rhetoren. Wenn Sie wissen wollen, welche Mimik für Sie charakteristisch ist, dann fragen Sie einmal engere Bekannte danach. Besser noch - und ziemlich heilsam - kann es sein, sich in einer Videoaufzeichnung daraufhin genau zu beobachten.
Nicht zu vernachlässigen ist im übrigen der rezeptiv-analytische Prozeß in der Mimikbeobachtung: Insbesondere in Zweier- oder Gruppengesprächen empfiehlt es sich, in wichtigen Phasen die Mimik seiner Partner auf Feedback-Signale hin genauer auszuwerten.
Körperhaltung
Wir „sprechen“ nicht nur mit einzelnen Körperteilen; auch der Körper als Gesamtheit hat Ausdrucksqualität! Schauen Sie sich einmal Personen - ob redend oder nicht - in verschiedenen Situationen auf ihre Körperhaltung hin an und deuten Sie die kinesischen13 Signale. Wie schätzen Sie eine Person ein, die
sich mit vor der Brust verschränkten Armen über den Tisch beugt
die bei entspannter Beinhaltung und zurückgelehntem Oberkörper das Kinn leicht gehoben hält und die Arme auf den Stuhllehnen ausruht
die die Hände auf die Knie aufstützt und sich dabei mit nach vorne geneigtem straffen Oberkörper angespannt ihrem Gesprächspartner zuwendet
die bei einem im Stehen gehaltenen Vortrag die Hände gerade nach unten an der Rock- oder Hosennaht hält und dabei keinen Schritt nach vorn oder seitwärts macht?
Das Erstaunliche bei solchen spielerischen Überlegungen ist immer wieder, daß wir jedes einzelne körpersprachliche Signal auch an uns selbst recht gut zu deuten wissen, daß aber unter dem aktuellen Verhaltensdruck in Redesituationen dieses Bewußtsein schnell wieder schwinden kann und so unerwünschten Routinen neu zum Zuge kommen läßt.
Sprachliche Mittel der Redegestaltung
Mit der Betrachtung sprachlicher Mittel der Redegestaltung im engeren Sinne geraten wir in den Übergangsbereich von Rhetorik und Stilistik. Daher wird im Hinblick auf dieses Wirkungsfeld auch von „rhetorischer Stilistik“ gesprochen wird. Die Unterscheidung ist eher akademischer Art: Während die ältere Rhetorik von der Vortragskunst her kommt, befaßt sich die Stilistik der geschriebenen wie gesprochenen Sprache vor allem mit Fragen stilistischer Formen, d.h. mit den Wirkungen, die sich aus semantischer und syntaktischer Kombinatorik ergeben.
Wir möchten uns hier exemplarisch auf zwei Punkte beschränken: auf einige Grundregeln wirksamer Redegestaltung sowie auf die rhetorischen Stilfiguren.
Grundregeln der Redegestaltung
Aus der Überfülle stilistischer Hinweise möchten wir Ihnen nur eine begrenzte Auswahl nennen, wobei uns die sogenannte KLAVKA-Formel dienlich sein kann. Sie steht für die Gestaltungskriterien der Klarheit, Lebendigkeit, Anschaulichkeit, Verständlichkeit, Knappheit und Angemessenheit.14
Klarheit
Die Redesprache sollte überschaubar, logisch und unmißverständlich sein; Sie können Redeklarheit befördern durch übersichtliche Satzgliederung, durch geläufige Wörter und Beschränkung der nominalen Fügungen, durch die Anwendung folgerichtiger Gedankenschritte und Denkmuster-Kombinationen sowie durch ausreichende Gliederungshilfen (Titel, Abfolgehinweise u.a.).
Lebendigkeit
Abwechslungsreich wird Ihre Rede durch Wechsel des Satzaufbaus (Ausssage-, Frage- und Appellsätze), durch Verwendung sprachlicher Bilder oder origineller Wendungen, durch Handlungsschilderungen (anstelle von Zustandsschilderungen), durch Einschübe und Zitate (direkte Rede) sowie durch persönliche Ansprache.
Anschaulichkeit
können sie erreichen, indem Sie bildkräftige Ausdrücke aus dem persönlichen Erfahrungsbereich der Zuhörer wählen, möglichst viele Konkreta verwenden, Beispiele und Vergleiche heranziehen und Personifizierungen anwenden. Denken Sie auch hier vom leiblichen Erleben her: die Möglichkeit zur inneren Verarbeitung (Freude, Schreck usw.) und zur Unterstützung einer Vorstellung ist häufig wichtiger als eine „objektive“ Beschreibung.
Verständlichkeit
muß als wichtigster Prüfstein gelten. Sie können Sie fördern durch leichtverständlichen Satzbau (keine Bandwurm- und Schachtelsätze), durch treffende und eindeutige Wortwahl, durch Rückbezug auf schon bekannte Tatsachen und Vorgänge und - womöglich und nötig - durch Verständnishilfen in Form von Visualisierungen.
‘Verständlichkeit’ hängt eng mit den anderen hier genannten Kriterien zusammen. So führen etwa Langer, Schulz v. Thun und Tausch 15 vier „Verständlich-macher“ an, die zur KLAVKA-Formel in enger beziehung stehen, nämlich1. Einfachheit, 2. Gliederung und Ordnung, 3. Kürze - Prägnanz und 4. anregende Zusätze.
Knappheit
fördert die hörerseitige Informationsaufnahme. Sie erzielen Knappheit durch kurze Sätze, Verzicht auf Wiederholungen, Umschreibungen und Flickwörter, durch Weglassen von Nebensächlichem und konsequentes Verfolgen des „roten Fadens“. Achten Sie aber darauf, des Guten nicht zuviel zu tun. Ein Übermaß an Knappheit, z.B. völliger Verzicht auf Redundanz (Informationsverdopplung) kann die Verständlichkeit einer Rede mindern.
Angemessenheit
bezieht sich auf den Bezug der Rede auf Anlaß und Zuhörerschaft. Wählen Sie also die Stilebene bzw. Sprachschicht so, daß Ihre Rede bei der Zielgruppe ankommt. Zugleich ist darauf zu achten, daß die Redesituation bzw. der Anlaß und das Thema durch die Wahl des Ausdrucks, die persönliche Anspracheform und die Redegliederung angemessen berücksichtigt werden.
Rhetorische Figuren
Rhetorische Figuren sind die Schmuckmittel der Rede. Kaum eine Sprachverwendung - im Alltag oder im Beruf - kommt ganz ohne diese sprachlichen Wirkmittel aus, doch werden in der gestalteten oder literarischen Rede rhetorische Figuren meistens geplant und kunstvoll eingesetzt.
Schauen wir uns die gebräuchlichsten Redefiguren anhand von Beispielen einmal an:16
Metapher = bildlicher Ausdruck für einen Gegenstand; Übertragung aus einem Bedeutungsbereich in einen anderen)
„Er ist ein Fuchs!“ „Die Glut in ihm war vergangen“
Häufig werden unbewußt sogenannte verblaßte Metaphern gebraucht, deren Wirkung dann sehr gering oder unmerklich ist:
„die Spitze des Eisbergs“ oder „rumhängen wie ein nasser Sack“.
Das Wortspiel
„erst verließ ihn seine Familie, dann sein Verstand“
„besser arbeitslose Heere als Arbeitslosenheere“
„eiliger Vater“ statt Heiliger Vater
Ironie
„Der Rhein ist völlig sauber! - Er wird doch jedes Jahr chemisch gereinigt...“
Beschönigung (Euphemismus)17
1 Die Fachwörter setzen wir in Klammern, da sie in der Literatursprache geläufiger sind als die Übersetzungen
„Wir konnten unser Betriebsergebnis nach Freisetzung von 75 Mitarbeitern wieder steigern“
„Zweitfrisur“ statt Perücke
Personifikation
„Das Glück läuft hinterher“
„Gelassen stieg die Nacht ans Land“
Übertreibung (Hyperbel)
„Der Bus war brechend voll“
„es ging zu wie in einem Ameisenhaufen“
Untertreibung (Meiosis)
„Sie sind gestern über den großen Teich gefahren“
Ellipse (Weglassung; unvollständiger Satzbau)
Alle zwei Minuten. Irgendwo auf der Welt. Lufthansa.
Verneinung des Gegenteils / Übertreibung ins Negative (Litotes)
„Er war nicht gerade einer der Tapfersten“
Ersetzung des eigentlichen Wortes durch ein verwandtes anderes (Metonymie oder Synekdoche)
„sie las im Schiller“ (anstatt: sie las in Don Carlos von Schiller)
„Bonn befürchtet eine Verschlechterung der Beziehungen...“
Einfache Wiederholung
„Wir haben dazu nein gesagt, wir sagen jetzt nein dazu und werden auch in Zukunft nein sagen!“
Anhäufung (Akkumulation)
„Wir müssen Entschlossenheit zeigen, Stärke und Zuversicht“
Begriffszerlegung (Diärese)
„Durch die Mauer werden Familien getrennt: der Mann von der Frau, der Bruder von der Schwester...“ (J.F. Kennedy)
Raffung
„Die Flasche rollte, fiel, zerschlug und lief aus“
„Das Flugzeug rollte an, hob ab, gewann an Höhe und verschwand“
Wiederaufnahme des Satzanfangs (Anapher)
Es ist unvermeidlich, daß wir diese Belastung auf uns nehmen; es ist unvermeidlich, sich der Herausforderung zu stellen
Wiederaufnahme des vorangegangenen Satzendes zu Anfang des Folgesatzes (Anadiplose)
Bei ihrer Begrüßung überreichten sie Blumen. Blumen schmückten auch die Empfangsräume...“
Chiasmus (Symmetrische Überkreuzstellung einander entsprechender Satzglieder)
„Die Kunst ist lang, und kurz ist unser Leben“
Widerspruch im Gesagten (Contradictio oder Oxymeron)
Es herrschte beredtes Schweigen
Rhetorische Frage (Eine Frage in der Rede, die nicht beantwortet werden muß)
„Wollen Sie das dem Zufall überlassen“?
„Wo steht denn geschrieben, daß wir unbedingt eine Punktlandung brauchen????“
Parallelismus (Aneinanderreihung zweier gleichgestalteter Sätze oder Satzteile)
„Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehen. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen.“
(Kurt Tucholsky)
Correctio (absichtlich vorgenommmene (Selbst-) Verbesserung, um einen Ausdruck hervorzuheben)
„Wir haben Sie in der Sicherheitsdebatte immer wieder davor gewarnt, nein - wir haben Sie sogar beschworen, ...“
Antithese (Gegenüberstellung zweier gegensätzlicher Begriffe oder Aussagen)
„Vor zwanzig Jahren noch erlebten wir einen blühenden Aufschwung; heute jedoch befinden wir uns in einer tiefen Krise“
„Mit heißem Herzen und kühlem Kopf wollen wir an die großen Probleme dieses Zeitabschnitts des Krieges herantreten“ (Joseph Goebbels, Sportpalastrede)
Paradox (unerwartete Formulierung, die auf der Unvereinbarkeit von zwei Aussagen oder Begriffen beruht)
„Nichts dauert solange wie ein Provisorium“
Klimax / Antiklimax (Steigerung / Abschwächung)
„Uns geht es nicht nur gut, sondern sehr gut, um nicht zu sagen hervorragend“ (Klimax)
„Bei uns gibt es Großzügige, Sparsame und - Schwaben“ (Antiklimax)
Prinzipien der Redeplanung und des Redeaufbaus
Überzeugende rhetorische Wirkung beruht nun nur zum Teil auf einer gute Vortragsweise und auf geschickt gewählten Stilmitteln; nicht weniger wichtig - gerade bei längeren Redeformen - ist eine den Hörer unterstützende, aber auch zum „Dabeibleiben“ motivierende klare Text- und Denkstruktur. Der Redeinhalt muß deshalb planvoll erarbeitet werden und in einer ebenso übersichtlichen wie stimulierenden Anordnung nach logischen und effektorientierten Gesichtspunkten strukturiert werden.
Bevor Sie allerdings mit der Redegliederung selbst beginnen, sollten Sie noch einen hilfreichen Arbeitsschritt vorschalten. Da nur wenige Redner über die Gabe verfügen, wirkungsvoll aus dem Stegreif zu reden, ohne einmal den Faden zu verlieren oder wichtige Inhaltsaspekte zu übersehen bzw. zu verkürzen, ist es empfehlenswert, die Rede in Hinblick auf ihre verschiedenen Wirkungselemente vorzubereiten. Dazu einige Hinweise:
Checkliste für eine Redevorbereitung - Stoffsammlung:
So vorbereitet kann die Feinarbeit am Redeaufbau beginnen. Grundsätzlich gilt auch für die Redegliederung das Schema des Aufsatzplans: also die Abfolge von Einleitung, differenziertem Hauptteil und Schluß, wobei im Durchschnitt der Einleitungsteil mit 15% der Länge, die Hauptteile mit 75% und der Schluß mit 10% als Orientierungswert veranschlagt wird. Damit ist jedoch nur ein sehr grobes Bauprinzip umrissen.
Das ursprüngliche antike Schema der Gliederungsstruktur ist für viele Reden auch heute noch maßgeblich, obwohl es sich etwas einseitig auf die allgemeine Überzeugungs- und Standpunktrede bezieht. Danach werden die folgenden Schritte empfohlen:18
1. Exordium = Ziel- und Themenangabe
2. Captatio benevolentiae = Versicherung bzw. Eroberung des Hörerwohlwollens (diese Art der Publikumsschmeichelei ist immer noch üblich, gleichwohl vielen verdächtig)
3. Prolepsis = Vorwegnahme gegnerischer Einwände (bei einem kritischen Publikum)
4. Narratio = Erzählung (Entfaltung einer Geschichte; Schilderung eines Handlungsverlaufs)
5. Argumentatio / Confirmation = Bekräftigung, Herausarbeiten des Kernarguments
6. Refutatio = Wiederlegung der gegnerischen Einwände
7. Conclusio oder Epilogus = Schlußfolgerung oder Abschluß.
Es ist jedoch zu fragen, ob ein einzelnes, verallgemeinerndes Schema der Redebauform genügt, um als Richtschnur für die unterschiedlichsten Redeformen und -funktionen zu dienen. Schließlich hängt die Abfolge und Funktionsbestimmung einzelner Redeteile (z.B. Beweisführung, Sachbeschreibung oder Stimulierung) sowie deren Proportionierung sehr weitgehend vom speziellen, d.h. situationsbezogenen Redetypus ab. Reiner Brehler19 berücksichtigt diesen Umstand, wenn er redetypenbezogene Baupläne vorschlägt, d.h. beispielsweise für ein Sachreferat die Schrittfolge:
1. Tatsachen, 2. Ursachen/Geschichtlicher Rückblick, 3. Beispiele, 4. Ziel/Ergebnis, 5. Endzweck
oder für eine Standpunktrede die Gliederungsteile:
1. Thema, 2. Behauptung, 3. Begründung, 4. Beispiele, 5. Schlußfolgerung, 6. Appell an den Zuhörer.
Etwas differenzierter als Brehlers Vorschlag ist die Herleitung verschiedener Gliederungsprinzipien bei Rudolf Neumann, der unterschiedliche Redeziele wie etwa Beeinflussung (in Richtung auf Meinungen, Motive, Einstellungen etc.) oder Information/Belehrung mit dafür typischen „Denkmustern“ verknüpft.
Die beiden folgenden Abbildungen zeigen zunächst das Grundmuster des schon erwähnten Aufsatzplans für eine informative Rede, sodann das Grundmuster des „Argumentblocks“ für eine argumentative Überzeugungsrede:
Grundmuster Aufsatzplan (Variante 1):
Einleitung
Überleitung zum Hauptteil
Hauptteil mit einzelnen Leitgedanken (1,2,3...)
Überleitung zum Schluss
Schluss
Grundmuster Argumentblock 20
These (Behauptung)
Argument(e)
Beispiele
Zusammenfassung
Fey und Fey gehen schließlich noch andeutungsweise auf den Umstand ein, daß im Redeaufbau nicht nur die logisch-kognitive Seite eingeplant sein sollte, sondern auch die affektiv-spielerische. Sie fordern deshalb neben der Berücksichtigung von Sachgründen in der Redegliederung zusätzlich die Berücksichtigung von Gefühlsgründen und kommen daraufhin zum Schema einer „Normalgliederung“, die sie so visualisieren:
Normalgliederung einer Rede nach Fey21
1. Ohrenöffner (Zeigen, Schildern, Gefühl)
2. Sachgrund (Sagen, Folgern)
3. Gefühlsgrund (Zeigen, Schildern, Gefühl)
4. Zusammenfassung (Sagen, Folgern, sachlich)
5. Schlußsatz
6. Effekterzielung
Den Autoren geht es bei diesem Vorschlag weiterhin darum, die Wichtigkeit eines „Wechselbades“ bei der Redeaufnahme zu betonen. Der Wechsel des Ansprachemodus wird erzielt durch das bewußte Alternieren von Zeigefunktionen (informativen Hinweisen) und Sagefunktionen (Auswertung und Folgerung) bzw. von gefühlsbezogenen Einstimmungspassagen und sachlichen Erläuterungspasssagen.
Argumentationslehre
Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits auf die Bedeutung der formalen und inhaltlichen Strukturierung einer Rede hingewiesen. Während nun der Redebauplan die gedankliche Organisation des Gesamttextes sicherstellen soll, hat die Argumentationsplanung vor allem die Aufgabe, einzelne Kernargumente inhaltlich auszuarbeiten, in ihrer internen Struktur zu entwickeln und richtig in den Kontext einzuordnen. Während also die sprachlich-stilistische Form dominant die Redeästhetik unterstützt, gewährleistet eine treffende Argumentation die Überzeugungskraft der Rede und führt im günstigen Fall einen Meinungsanschluß oder eine Meinungsakzeptanz herbei.
Um dies praktisch zu erreichen, stehen uns die verschiedenen Mittel und Techniken der methodischen Argumentation zur Verfügung. Argumentative Muster und Figuren sind zwar bereits Basisbestandteil unserer normalen Rede, können aber - wie andere rhetorische Elemente auch - akzentuiert und optimiert werden.
Überzeugende Argumentation verlangt einige Voraussetzungen. Dazu gehören:
eine ausgeglichene (angstfreie) Zuhörerbeziehung
die eigene Überzeugtheit (Aufrichtigkeitsbedingung)
ein verständlicher sprachlicher Gesamtausdruck
Folgerichtigkeit der Gedanken
Geeignete situative Bedingungen (Zeit, Handlungsmöglichkeiten usw.)
Interessen, Motivationen und Bedürfnisse der Zuhörer
Erwartungen und Voreinstellungen der Zuhörer
Die Gliederung des Argumentationsfeldes
Argumentation als Technik der verbal organisierten Gedankenführung kann unter verschiedenen Aspekten beschrieben werden, die hier aus Gründen der Darstellungsklarheit gesondert betrachtet werden sollen. Wir wollen also unterscheiden zwischen:
a) Argumentationsarten, b) Argumentationsmustern und c) Argumentationsschemata.
Darüber hinaus können wir davon noch konkret auf den Fall angewandte Argumentationsstrategien unterscheiden (z.B. Täuschungs- oder Überrumpelungsstrategien, die hier allerdings nicht weiter ausgeführt werden).
Argumentationsarten:
Sie wissen aus eigener Erfahrung, daß unterschiedliche Redesituationen und Gesprächspartner je besondere Argumentationsweisen verlangen. Die wichtigsten sind:
1. die inhaltsbezogene Argumenation
2. die taktische, d.h. auf Zuhörerhaltung bzw. -einstellung bezogene Argumentation22
Zur ersten Gruppe gehört zunächst (1a) die menschenbezogene Argumentation (argumentatio ad hominem), die sich immer dann empfiehlt, wenn auf das menschliche Erleben, Empfinden und Bewerten von Vorgängen oder Sachverhalten Bezug genommen wird. Markante Beispiele dafür sind etwa
die psychologische Argumentation, bei der Gefühle, persönliche Merkmale oder Motive angesprochen werden
die soziale Argumentation, wenn beispielsweise mit Bezug auf die Prinzipien des Demokratieverständnisses, der Selbstverantwortung oder des Gemeinsinns argumentiert wird
oder die rechtliche Argumentation, die sich auf normative Regelungen, auf konkrete Rechtsansprüche oder auf Prinzipien wie „die gerechte Strafe“ beziehen kann.
Davon zu unterscheiden ist (1b) die gegenstandsbezogene Argumentation (argumentation ad rem), deren Wahl vor allem dann naheliegt, wenn der Überzeugungsversuch einer Sache im weiteren Sinne gilt. Insbesondere im Bereich der Fachdiskussion und der Wissenschaft ist dieser Typ von Argumentation prominent.23
Rudolf Neumann nennt hierfür drei Beispielbereiche:
die materialbetonte Argumentation (Materialqualität),
die verfahrensbetonte Argumenation (Qualität eines Herstellungsverfahrens oder Funktionstüchtigkeit) und die konzeptbetonte Argumentation (Konzeptschlüssigkeit, Planlogik u.a.).24
Die zweite Gruppe der taktischen Argumentation
läßt sich nach dem Prinzip der psychosozialen Ansprechbarkeit oder Einstellung subdifferenzieren; hier können wir als kriterialen Ausgangspunkt die Frage stellen: in Bezug auf welche mentale oder soziale Orientierung/Werthaltung ist der Diskussionspartner hinsichtlich der verhandelten Materie am besten anzusprechen?
Folgende Typen sind dabei hervorzuheben:
2a) die (streng) logische Argumentation, die sich der Schlußmuster der formalen Logik bedient25;
2b) die faktenbezogene oder auch rationale Argumentation, die ihre Überzeugungskraft aus „Gewißheiten“ bezieht;
2c) die erfahrungsbezogene Argumentation, die sich auf die Zustimmung zu einem gemeinsamen Erfahrungsschatz (welchen Inhalts auch immer ) baut;
2d) die konsensgestützte Argumentation, deren Verbindlichkeit sich auf einen bereits vorher erzielten (ausgesprochenen oder unausgesprochenen) Konsens stützt;
2e) die rollenbezogene Argumenation, die sich auf geltende soziale Normen der Macht- und Rollenverteilung bezieht. In einfacher Form zeigt sich dieser Typus in Sätzen wie: „Als Fachmann für Exobiologie können Sie mir glauben, daß die Aliens von Roswell Hirngespinste sind!“ oder: „Sie wollen mir als langjährigem Vereinsmitglied mit Ihren 25 Jahren doch nicht erklären wollen, daß...“
2f) die emotionale Argumentation, die (im Gegensatz zur rationalen) an bestimmte Gefühle appelliert und dadurch einen (vorübergehenden?) Meinungs- oder Handlungsanschluß bewirkt. Stellen Sie sich zum Beispiel einen gebeutelten Steuerzahler vor, der ausruft: „Mag ja sein, daß ich keinen Rechtsanspruch auf steuerliche Berücksichtigung dieser Anschaffung habe, aber sie könnten mir doch angesichts meiner schwierigen Lage ein wenig entgegenkommen!“
Argumentationsmuster
Unter einem Argumentationsmuster verstehen wir
ein formales, nicht immer explizit hervortetendes Gliederungs- oder Strukturmuster, nach dem die einzelnen Argumentationsschritte effekt- bzw. überzeugungsorientiert angeordnet werden.
Im Prinzip haben Sie es mit einer Gliederungstechnik zu tun, die generell für den übersichtlichen Aufbau von schriftlichen oder mündlichen Texten gilt. Hier wie dort verfolgen Sie das Ziel, den Hörer mit dem Gegenstand vertraut zu machen (Aufmerksamkeit zu wecken), das jeweilige „Thema“ in Form von Thesenformulierung zu entwickeln und zu einer wirkungsvollen Schlußaussage zu kommen.
Zwar wird aufgrund erworbener Hörerkompetenzen eine (nicht zu komplexe) Argumentation recht zuverlässig und ohne große Analyse verstanden, zweifellos jedoch wird die Wirksamkeit einer Argumentation und damit der mögliche Sprechhandlungserfolg gesteigert, wenn die einzelnen Argumentationsschritte übersichtlich entwickelt und präzise ausgeformt sind.
Das einfachste Muster ist der sogenannte Dreisatz, der unter vielen möglichen Varianten etwa folgende Struktur haben kann:
1. Einleitung; 2. These/Begründung; 3. Schlußfolgerung oder Zielsatz
Am Beispiel:
(1) Wir sehen doch alle, daß die Kommunen ihre originären Aufgaben nicht mehr finanzieren können
(2) Um die Kommunen instand zu setzen, sich ihren wichtigsten Zielen (Stadtentwicklung, Verkehr, Kultur u.a.) zu widmen, müssen sie von anderen Leistungen befreit werden
(3) Daher sollte für die Sozialhilfeleistungen der Bund aufkommen
Da der Dreisatz selten eine ausführliche Argumentation erlaubt, ist die erweiterte Fünfsatzstruktur wegen der größeren Entfaltungschancen häufig angemessener.26
Hier sind viele Realisationsformen denkbar, wobei auch ein einzelner Schritt der Beweisführung untergliedert werden kann (z.B. bei gleichartigen Begründungen in Folge).27
Eine Grundform des Fünfsatzes sieht etwa so aus:
1. Eröffnung, 2. Argument A, 3. Argument B,
4. Beispiele, 5. Zusammenfassung (Konklusion)
oder:
1.Behauptung, 2. Forderung, 3. Vorschlag A; 4. Vorschlag B; 5. Allgemeine Schlußfolgerung.
Beispiel:
1. Die Autobahn wir für den Staat zu teuer
2. Die Kosten müßten anders und d.h. hier gerechter umverteilt werden.
3. Man muß nach dem Verursacherprinzip diejenigen stärker heranziehen, die am häufigsten Auto fahren
4. Wir müßten dann auch ausländische Nutzer an den Kosten beteiligen
5. Alle sollten wir eine generelle Maut für alle Autobahnnutzer einführen.
Zusätzlich zur Gliederung der einzelnen Argumentationsschritte kann im Argumentblock, d.h. im arumentativen Mittelstück der Argumentation, auch eine bestimmte Form der argumentativen Reihung gewählt werden. Generell werden drei Reihungsformen unterschieden:28
1. die steigernde Reihe nach dem Gewicht der Argumente
3.
2.
1.
2. die dramaturgische Reihung
3.
2.
1.
3. die dialektische Reihung
1. These 2. These
3.
These
Egal, welches Muster man im einzelnen befolgen will - entscheidend ist vor allem die inhaltliche Abstimmung (Anpassung an das Argumentationsziel), die Optimierung der Verständlichkeit und die pragmatische Situationseinschätzung.
Muster der gezeigten Art sind im übrigen immer synergetisch verbunden mit bestimmten Argumentationsschemata. Darunter sind Wirkschemata logischer und psychologischer Art zu verstehen, die der Argumentation ein zusätzliches Profil bzw. verstärkte Durchschlagskraft verleihen können. Die Schemata teilen den Vorteil aller konventionellen Denkmuster, insofern sie auf bekannte gedankliche Grundstrukturen bei Sprechern wie bei Hörern zurückgreifen.
Konkret können Argumentationsverfahren u.a. folgende Form haben:29
Deduktion: Schließen vom Allgemeinen auf das Besondere
Induktion: umgekehrt zur Deduktion Ausgehen vom Besonderen mit Schluß auf die Gesamtheit
das Wenn-dann-Schema
die einfache Aneinanderreihung
der Pro-Kontra-Vergleich
die dialektische Methode (Gegenüberstellung zweier antithetischer Aussagen/Argumente und ihre anschließende Aufhebung in einer erweiterten dritten Lösung)
den Kompromiß
und wenige weitere Sonderformen.
Anmerkungen:
1 Einen kurzen Abriß der Rhetorikgeschichte finden Sie in Hermann Schlüter: Grundkurs Rhetorik, 13. Auflage, München 1994
2 Attisch = Adjektiv zu Attika, der mittelgriechischen Halbinsel mit Athen als Hauptstadt. Attika gilt als „Kernland“ der griechischen Rhetorik
3 Helmut Rehbock: Rhetorik, in: Lexikon der Germanistischen Linguistik, Bd. II, 2. Auflage, Tübingen 1980, S. 296
4 Wir können uns hier die Formulierung von Habermas in Erinnerung rufen, der „vom zwanglosen Zwang des besseren, in Rede vorgetragenen Arguments“ spricht.
5 Vgl. H. Rehbock, a.a.O. und Rudolf Neumann: Zielwirksam reden, 6. Auflage, Renningen-Malmsheim 1995
6 Siehe dazu weiter unten den Abschnitt zur Redeverständlichkeit
7 Persuasiv hier gemeint im Doppelsinne von ‘überzeugen’ und ‘überreden’
8 Hierzu gehören etwa feierliche Ansprachen, Antritts- und Abschiedsreden.
9 Erläuternd sei angemerkt, daß hier, wenn von ‘Rede’ und ‘Redner’ gesprochen wird, in der Regel nicht die Textsorte Rede als förmliche Ansprache gemeint ist, sondern eine allgemeine Form des adressierten Redens (unter Beobachtung ). Dazu können Statements, längere Diskussionsbeiträge, Lehrgespräche und viele andere Formen der verbalen Darstellung gehören.
10 Diese reichen von dialektalen Eigenarten, die wechselnder normativer Bewertung unterliegen, bis zu Sprechfehlern oder -störungen (lispeln, verschleifen u.a.)
11 Um nur zwei Lehrwerke zu diesem Aspekt zu nennen, erwähne ich J. Hey: „Die Kunst des Sprechens, hrsg, von Fritz Reusch, Mainz 1956 und Chr. Winkler: Deutsche Sprechkunde und Sprecherziehung, 2. Auflage, Düsseldorf 1969
12 Gudrun Fey/Heinrich Fey: Redetraining als Persönlichkeitsbildung, Berlin, Bonn u. Regensburg 1996
13 Kinesik (griechisch) = Bewegung; dementsprechend hier kinesisch = die Körperbewegung betreffend
14 Die Formel ist entnommen aus: Rudolf Neumann, a.a.O., S. 171f. Die weiteren Ausführungen gehen über Neumann hinaus.
15 Inghard Langer, Friedemann Schulz von Thun, Reinhard Tausch: Sich verständlich ausdrücken, 2. Auflage, München/Basel 1981, S. 14ff.
16 Einige der Beispiele sind entnommen aus: Susanne Montamedi: Rede und Vortrag, Weinheim/Basel 1993 sowie aus Werner Tusche: Reden und überzeugen. Rhetorik im Alltag, 2. Auflage, Köln 1993
17 Die Fachwörter setzen wir in Klammern, da sie in der Literatursprache geläufiger sind als die Übersetzungen
18 Vgl. G. und H. Fey, a.a.O., S. 142f.
19 Reiner Brehler: Modernes Redetraining: Sicher auftreten - überzeugend vortragen, Niederhausen/Ts. 1995, S. 17
20 Ergänzungen zum Argumentblock folgen im nächsten Kapitelabschnitt
21 G. und H.Fey, a.a.O., S. 145
22 Ich folge in meiner Unterscheidung teilweise der von Rudolf Neumann vorgeschlagenen Systematik; in: ders.: Zielwirksam reden, .a.a.O., S.148 ff.
23 Was nicht bedeuten muß, daß es dabei tatsächlich immer um „Gegenstände“ gehen muß. In dieser spezialisierten Argumentationsform - neben der streng logischen - drückt sich am stärksten die moderne Rationalitätsorientierung aus.
24 Rudolf Neumann, a.a.O., S. 150
25 Hierhin gehören die bekannten Schlußmuster (Syllogismen) Deduktion, Induktion oder der Hypothetische Schluß. Beispiel für den letzteren: Obersatz: Wenn es regnet, wird die Straße naß; 2. Satz: es hat geregnet; Schlußfolgerung: dann muß jetzt wohl die Straße naß sein.
26 Dazu mit Beispielen: Horst Schuh/Wolfgang Watzke: Erfolgreich reden und argumentieren. Grundkurs Rhetorik, 4. Auflage, Ismaning 1992
27 Der Fünfsatz ist zwar übersichtlich, kann aber durchaus, wenn es nötig erscheint, erweitert werden. Mehrsätzige Argumenationen aus 6 oder 7 Schritten sind keine Seltenheit.
28 Vgl. Rudolf Neumann, a.a.O., S. 80ff.
29 Vgl. Horst Schuh und Wolfgang Watzke, a.a.O., S. 70-76 und Werner Tusche: Reden und überzeugen, a.a.O., S. 140ff.